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Flächendefizit
„Zentimetersache!“
Rechtsanwalt Dr. Hans Reinold Horst, Hannover / Solingen
Weicht die tatsächliche Fläche mehr als 10 % von der vereinbarten Fläche des Mietobjekts ab, sind vor allem Mietminderungen und Rückzahlungsansprüche für die Vergangenheit (bis zu 10 Jahren; BGH, Beschluss vom 17.10.2023 - VIII ZR 61/23, MietRB 2024, 66 f = WuM 2024, 135 ff) die Folge. Das gilt auch bei geringfügigen Überschreitungen der 10 %-Grenze (AG Dortmund, Urteil vom 26.11.2013 - 425 C 7773/12, IMRRS 2014, 0732). Diese Regeln gelten sowohl in der Wohnungsmiete als auch in der Gewerbemiete (zur Wohnungsmiete: BGH, Urteil vom 7.4.2004 - VIII ZR 146/03, MDR 2004, 933 = MietRB 2004, 254; zur Gewerbemiete: BGH, Urteil vom 4.5.2005 - XII ZR 254/01, MDR 2005, 975 = MietRB 2005, 259). Für den Vermieter, der sich Mietminderungen und Rückzahlungsansprüchen dann ausgesetzt sehen muss, kommt es also buchstäblich auf jeden Quadratzentimeter an. Dies vorausgeschickt, nun zu dem folgenden Fall:
Definitionsfrage Wanddurchbruch
Vermieter V und Mieter M ringen um die Frage einer Wohnflächenabweichung größer als 10 % zwischen tatsächlicher Fläche und angegebener Fläche. Dazu trägt M vor die Flächenabweichung liege bei 10,04 %. In dieser Rechnung unberücksichtigt lässt er zwei Wanddurchbrüche mit einer Grundfläche in dem unterbrochenen Wandprofil von jeweils 0,10 m². Dabei stützt er sich auf § 3 Abs. 3 Nr. 3 WoFlV; nach dieser Vorschrift sind „Türnischen“ nicht in die Berechnung der Wohnfläche mit einzubeziehen. V tritt dem entgegen und will die Flächenanteile berücksichtigt wissen, um eine Flächenabweichung von unter 10 % zu erreichen. Türrahmen oder Türe sind jeweils in den Durchbrüchen nicht vorhanden.
Der BGH hatte den Begriff der „Türnische“ zu klären, nachdem die Vorinstanz die Annahme einer Türnische abgelehnt und die Grundfläche in den Wandöffnungen deshalb der Wohnfläche zugeschlagen hat.
Der BGH sieht die Wanddurchbrüche als Türnische (Urteil vom 27 9. 2023 - VIII ZR 117/22, IMR 2023, 493 mit Annahme von Börstinghaus, juris PR-BGHZivilR 23/2023 Anm. 2). Allein entscheidend sei, dass die Wandöffnung einen Durchgang zu anderen Teilen der Mieträume ermögliche. Ohne Belang bleibe, ob der Wanddurchbruch mit einer Türe oder mit einem Türrahmen versehen sei. Der vorgegebene Abzug der Fläche in § 3 Abs. 3 Nr. 3 WoFLV trage den geminderten Wohnwert dieses Grundflächenteils Rechnung.
Ergebnis
Die Grundflächen der Wanddurchbrüche sind auszusondern, die tatsächliche Fläche wird geringer, die Abweichung zur vereinbarten Wohnfläche größer als 10 %; Folge: Der Mieter kann gestützt auf die sich automatisch kraft Gesetzes ergebende Mietminderung anteilige Rückzahlungsansprüche gegen den Vermieter geltend machen – eine wirtschaftlich fatale Folge, die an wenigen cm² „hängt“.
Nachzutragen ist:
Für die Flächenberechnung gelten zunächst die vertraglichen Vereinbarungen. Insofern ist zu prüfen, ob zugesicherte Eigenschaften des Mietobjekts oder Beschaffenheitsvereinbarungen (BGH, Beschluss vom 22. Juni 2021 – VIII ZR 26/20, NZM 2021, 759 Rn. 15) vorliegen. Ist beides nicht zu ermitteln, bleibt zu beantworten, ob ausdrücklich eine Flächenberechnung nach der Wohnflächenverordnung (WoFlV) oder in älteren Mietverträgen aus den Jahren bis zum 31.12.2003 nach §§ 40 - 44 II. BV oder schließlich nach anderen Regelwerken wie der DIN 283 oder der DIN 277 oder schließlich Regelwerke von Sachverständigenorganisationen (z. B. Gif-Richtlinien) vereinbart sind.
Bei der WoFlV und II. BV handelt es sich jeweils um Vorschriften für den preisgebundenen Wohnungsbau, die aber kraft Vereinbarung auch als Grundlage für entsprechende Berechnungen des preisfreien Wohnungsbaus dienen können. Finden sich auch solche Abreden nicht, so ist die „Verkehrsanschauung“ entscheidend. Sie ist auch ortsbezogen zu prüfen. Bleibt auch dies ohne Ergebnis, so geht die Rechtsprechung einmütig davon aus, dass die genannten Verordnungen für den preisgebundenen Wohnungsbau nicht nur dort, sondern entsprechend auch für den preisfreien Wohnungsbau herangezogen werden können. In zeitlicher Hinsicht ist bei Mietverträgen, die ab dem 1.1.2004 (Stichtag zur Einführung der WoFlV) vereinbart wurden, für die Flächenberechnung die WoFlV heranzuziehen (so: BGH, Urteil vom 17.10.2023 - VIII ZR 61/23, MietRB 2024, 67; st. Rspr.: BGH, Urteil vom 17.4.2019 - VIII ZR 33/18, MDR 2019, 983; BGH, Urteil vom 18.12.2019 - VIII ZR 332/18, MietRB 2020, 100; BGH, Urteil vom 27.9.2023 - VIII ZR 117/22, MDR 2023, 1442 = MietRB 2023, 349), davor dann die II. BV.
Beide Verordnungen unterscheiden sich im Ansatz einzelner Flächenbestandteile geringfügig. Dazu folgendes:
- Nach DIN 283 sind die Flächen von Loggien, Balkonen und gedeckten Freisitzen einheitlich mit 25 % zu berücksichtigen.
- Nach § 44 Abs. 2 II. BV ist in diesen Fällen die Grundfläche für Balkone, Loggien, Dachgärten oder gedeckten Freisitzen „bis zur Hälfte“ anzurechnen.
- § 4 WoFlV sieht eine Anrechnung der Grundflächen von Balkonen, Loggien, Dachgärten und Terrassen in der Regel zu einem Viertel, höchstens jedoch in Höhe der Hälfte vor.
Lesetipp zur Flächenberechnung und zum Gewährleistungsrecht in diesen Fällen
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