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Erbrecht

Ehegattentestament - Fluch oder Segen? 

Rechtsanwalt Dr. Hans Reinold Horst

Also, das ist doch wohl klar: Sterbe ich früher, erbt meine Ehefrau alles, und umgekehrt genauso. Stirbt der Überlebende von uns, sind die Kinder dran - vorher aber nicht. Denn wir wollen uns gegenseitig absichern, solange wir leben. Dieser Grundgedanke erscheint nachvollziehbar und ist in vielen gemeinsamen Ehegattentestamenten, auch „Berliner Testament“ genannt, niedergelegt (§§ 2265, 2269 BGB, 10 Abs. 4 LPartG). 

Dieser Gestaltung, auch als Einheitslösung bezeichnet, ist eine Variante gegenüberzustellen: Hier setzten sich beide Ehegatten gegenseitig nur zu Vorerben ein, die Kinder als Nacherben des zuerst versterbenden Ehegatten. Dabei tritt der Nacherbfall erst mit dem Tode des Vorerben ein (§ 2106 Abs. 1 BGB). Diese Gestaltung wird als Trennungslösung bezeichnet. 

Der Unterschied in beiden Varianten liegt vor allem in der Stellung des überlebenden Ehegatten: Als Vollerbe kann er nach Gutdünken mit dem ererbten Vermögen verfahren, insbesondere Immobilien belasten und veräußern; als Vorerbe ist er den gesetzlichen Beschränkungen der §§ 2112 ff BGB unterworfen und darf zum Beispiel ererbte Immobilien nicht belasten oder veräußern. Auch darf er aus dem Nachlass nichts verschenken, es sei denn, die Schenkung ist aus „dem Anstand“ geboten oder sie entspricht „einer sittlichen Pflicht“ (zur Frage der Sittenwidrigkeit einer Grundstücksübertragung durch den überlebenden Ehegatten als Vorerbe nur an ein Kind bei mehreren Nacherben: Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Teilurteil vom 31. August 2010 – 3 U 5/08 –, juris). Allerdings kann er von den gesetzlichen Restriktionen der Vorerbschaft befreit werden (befreiter Vorerbe). Über Sinn und Unsinn derartiger Gestaltungen ist viel diskutiert worden. Tatsächlich ist sie mit Vor- und Nachteilen verbunden.

Für diese Testamentsform spricht: 

  • Der überlebende Ehegatte wird in jedem Fall in seinem Vermögen, damit in seiner wirtschaftlichen Existenz, abgesichert.

  •  Er erbt allein und ohne die Kinder. Eine Erbengemeinschaft, in der häufig Streit über die Behandlung und Verwertung der Erbmasse entsteht, vor allen Dingen aber über deren Auseinandersetzung, wird deshalb gar nicht erst gebildet. Der überlebende Ehegatte ist also „ohne Störfeuer durch etwaige Miterben“ in seinen Entscheidungen frei und nur etwaigen Restriktionen als Vorerbe unterworfen, wenn diese Gestaltung gewählt wird. Abgesehen davon kann er über den Nachlass verfügen.

  • Die weitere Erbfolge - Kinder als Nacherben oder als Schlusserben - wird „in einem Aufwasch“ früh mit geregelt. Der zuerst versterbende Ehegatte kann aufgrund der dann eintretenden Bindungswirkung des Testaments darauf vertrauen, dass die Kinder am Schluss wie gewünscht bedacht werden. Zur Bindungswirkung folgendes: leben beide Ehegatten noch, kann das Testament jederzeit gemeinsam aufgehoben werden. Will dies nur ein Ehegatte, so muss er einen Notar in Anspruch nehmen, um seine Erklärung zum Berliner Testament zu widerrufen. Die Bindungswirkung endet auch dann, wenn die Ehe geschieden wird. Erst mit dem Tod des Erstversterbenden wird die Bindungswirkung irreversibel.

Dagegen - weil nachteilig und deshalb problematisch - ist anzuführen: 

  • Durch die Testamentsgestaltung wird das gesetzliche Erbrecht der Kinder neben dem überlebenden Ehegatten eliminiert; sie werden beim ersten Erbgang also enterbt. Dies löst Pflichtteilsansprüche der Kinder aus, die ihnen als enge Verwandte im Falle ihrer Enterbung als Geldleistung in Höhe der Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils zustehen. Wirtschaftlich belasten sie den Nachlass. Das kann zum Beispiel dazu führen, dass das bislang gemeinsam mit dem verstorbenen Ehegatten bewohnte Familienheim veräußert werden muss, um die Pflichtteilsansprüche der Kinder bedienen zu können. Hier muss deshalb Vorsorge getroffen werden.
     
  • Weil die Kinder im ersten Erbfall nicht erben, kommt es im zweiten Erbfall nach dem letztversterbenden Ehegatten zum erbrechtlichen Übergang des gesamten Elternvermögens. Das kann steuerliche Freibeträge bei der Erbschaftsteuer überschreiten und damit den Staat ungewollt an der Erbschaft beteiligen. Denn im ersten Erbfall können Steuerfreibeträge mangels erlangter Erbenstellung der Kinder für sie nicht angesetzt werden. Die Freibeträge werden buchstäblich „verschenkt“. Ganz besonders bei Immobilienvermögen ist dies im Blick zu halten, wenn man unter dem Strich Vermögensverluste vermeiden möchte.
     
  • Die bereits kurz angesprochene Bindungswirkung des Testaments kann auch nachteilig sein. Nochmals: Das Ehegattentestament regelt verbindlich, wer endgültig Erbe werden soll, in unserem Beispiel die Kinder. Ist der erste Erbfall eingetreten, kann diese Verfügung nicht mehr geändert werden. Der überlebende Ehegatte kann also nicht abweichend testieren, wenn es zu familiären Spannungen oder gar zu Zerwürfnissen oder zum Beispiel auch zu drohenden Insolvenzen bei den Kindern kommt. Natürlich sind weitere Konfliktfälle denkbar, in denen der überlebende Ehegatte reagieren und das Vermögen vor dem Zugriff (nicht gewünschter) Dritter schützen möchte.

Weitere Gestaltungsmöglichkeiten: 

Der Eintritt der hier beschriebenen Nachteile muss unbedingt durch weitere Gestaltungsmöglichkeiten reduziert und möglichst verhindert werden. Dazu kann dienen: 

  • die ergänzende Aufnahme einer Pflichtteilsstrafklausel; sie droht den Entzug der Erbschaft auch im zweiten Erbfall an, wenn das Kind im ersten Erbfall Pflichtteilsrechte geltend macht. Dadurch soll erreicht werden, dass im ersten Erbfall auf den Pflichtteil verzichtet und dem überlebenden Elternteil so das ungeschmälerte Erbe belassen wird;
     
  • die Gestaltung des Testaments nach einem gesehenen Liquiditätsbedarf zur Erfüllung von dennoch geltend gemachten Pflichtteilsansprüchen, die als Anspruch auf eine Geldleistung im Erbfall sofort fällig werden, aber selbstverständlich wiederum durch verschiedene Gestaltungsinstrumente vor Eintritt des Erbfalls reduziert werden können, so zum Beispiel durch lebzeitige Schenkungen des testierenden Ehegatten und späteren Erblassers (insbesondere mit Nießbrauchsvorbehalt);
     
  • die Anordnung eines Vermächtnisses zur Vermeidung von Erbschaftsteuer (sog. „Supervermächtnis“), wodurch es dem überlebenden Ehegatten ermöglicht wird, den Nachlass steuergünstig zu verteilen, ohne dass die eigene Absicherung gefährdet wird;
     
  • die Befreiung von der testamentarischen Bindungswirkung durch Aufnahme einer Änderungsklausel, auch „Öffnungsklausel“ genannt, die den überlebenden Ehegatten entweder völlig oder eingeschränkt von den nach dem ersten Erbfall eintretenden Bindungswirkungen freistellt. So kann bestimmt werden, dass der überlebende Ehegatte sogar neue oder andere Erben einsetzen kann (völlige Freistellung), oder dass er nur die Erbanteile (Quote) der eingesetzten Erben - in unserem Beispiel der Kinder - ändert (teilweise Freistellung); bleibt damit der bereits vordefinierte Kreis der endgültigen Erben unveränderbar, so birgt dies auch die Gewähr für den erstversterbenden Ehegatten, dass keine fremden Personen in den Kreis der Erben aufgenommen werden und Zuwendungen aus dem Vermögen erhalten. Eine solche Klausel kann sich vor allem aus zwei Gründen empfehlen:

    • Das Vermögen kann sich aus Gründen ändern, die mit dem Erstversterbenden nichts zu tun haben (zum Beispiel durch Zuwendungen Dritter, Leistungen des Überlebenden, Anfall anderer Erbschaften in der Person des Überlebenden, Lottogewinne etc.). Ohne Öffnungsklausel fällt dann das gesamte Vermögen - dennoch - an die Schlusserben.

    • Der überlebende Ehegatte findet eine neue Partnerschaft oder heiratet erneut. Dies kann zu Zerwürfnissen mit den Kindern aus erster Ehe führen. Ohne die Klausel ist der überlebende Elternteil gehindert, erbrechtlich für den Fall seines eigenen Todes zu reagieren. 

  • die Aufnahme einer Wiederverheiratungsklausel, auch „postmortaler Keuschheitsgürtel“ genannt, die die Erbschaft an die Bedingung knüpft, nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten nicht wieder zu heiraten;

Das sind nur einige wenige Beispiele erbrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten, die man in den gesetzlich möglichen Grenzen als „Baukastensystem“ verstehen darf. Man kann sie also auch kombinieren. Hier kann es keine pauschale Lösung geben, sondern immer nur eine konkret auf den Einzelfall zugeschnittene Gestaltung. Es ist wie in der Modebranche: Angesagt ist Maßkonfektion, nicht Stangenware. Ein passgenauer Zuschnitt muss vor allem Gefahren einer Testamentsanfechtung wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten begegnen (sehr lesenswert dazu: LG Wuppertal, Urteil vom 5.12.2022 - 2 O 317/21) und Besonderheiten bei der Erstellung eines Behindertentestaments (möglichst mit Anordnung der Testamentsvollstreckung) beachten. Wichtig sind ebenfalls Schutzmechanismen, die gerade bei vererbten Immobilien eine Teilungsversteigerung oder einen Erbenstreit möglichst ausschließen. Teilungsanordnung in Bezug auf die Erbmasse mit Wertausgleich zum Beispiel bei vererbten Immobilien mit unterschiedlichem Wert, Gleichstellungs- oder Ausgleichsgelder und ebenfalls die Anordnung einer Testamentsvollstreckung sind dabei nur einzelne Unterpunkte, ebenso die Anordnung eines Vorausvermächtnisses zugunsten einzelner Erben. 

Auch Nießbrauchsrechte, die eine Nutzung der Immobilie durch eigenes Wohnen oder durch Vermieten ermöglichen, können neben reinen Wohnungsrechten oder sonstigen Nutzungsrechten testamentarisch eingeräumt werden. Gesetzlich enden sie mit dem Tod des Berechtigten, testamentarisch können Sie zeitlich befristet werden und deshalb auch schon zu Lebzeiten des Berechtigten enden. Schließlich zu erwähnen sind gegenseitige Vorkaufsrechte, wenn Immobilien möglichst lange in der eigenen Familie gehalten werden sollen oder ein angeordneter zeitlich befristeter Auseinandersetzungsausschluss in Bezug auf Erbengemeinschaften.

 Insgesamt ist steuergünstig zu gestalten. Wichtig ist dabei auch, die Voraussetzungen für die Befreiung für ein vererbtes Familienheim von der Erbschaftsteuer peinlich genau einzuhalten.

Zum Schluss ein ganz wichtiger Hinweis: 

Auch im digitalen Zeitalter muss das Testament eigenhändig, also tatsächlich mit der Hand, geschrieben und unterschrieben werden, bitte mit Ort und Datum versehen. Auch die Überschrift „Testament“ sollte verwendet werden Hier ist „Old School“ zwingend (vgl. zu den Einzelheiten eines eigenhändigen formwirksam errichteten Testaments die sehr lesenswerte Entscheidung: KG Berlin, Beschluss vom 9. Mai 2023 – 6 W 48/22 –, juris). 

Beide Ehegatten unterschreiben mit Vor- und Nachnamen (§ 2247 Abs. 2, 3 und 5 BGB). Denn es handelt sich ja um den letzten Willen beider Partner. Es genügt aber, wenn nur ein Ehegatte den Text des Testaments eigenhändig niederlegt (§ 2267 BGB).Das gilt genauso, wenn man zum Beispiel einen Rechtsanwalt mit der Abfassung eines Testamententwurfs bemüht hat. 

Beachtet man dies nicht, ist das Testament zwingend unwirksam (§ 2247 Abs. 1 BGB). Dann hat man „für die Tonne gearbeitet“. Der Grund: Das Gesetz will so vor Fälschungen möglichst umfassend schützen. Nur ein notariell errichtetes und beurkundetes Testament kann natürlich mit Maschinentext gefertigt werden. Denn in diesem Fall passt der Notar „Kraft Amtes“ auf, dass nichts gefälscht wird.

Lesetipp:

Übertragung und Vererbung von Grundbesitz
Die Broschüre widmet sich neben der lebzeitigen Übertragung des eigenen Vermögens an die (späteren) Erben und der Darstellung des gesamten Erbrechts auch der Abfassung ...
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